Vielleicht, vielleicht auch nicht...

Vielleicht, vielleicht auch nicht...

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„Isabella? Hast du alles eingepackt?” Meine Mutter stand reisefertig im Flur und wartete auf mich.
„Ja, Mum. Ich hab alles.” , seufzte ich, ließ meinen Blick noch ein letztes Mal über die kahlen Wände meines Zimmers gleiten und schnappte mir dann meinen Koffer, den ich schon neben der Tür plaziert hatte.
„Dann komm bitte, wir müssen endlich los. Der Flieger wartet nicht ewig.” Sie winkte ungeduldig mit ihrer freien Hand. „Wir sollten schon längst am Flughafen sein.” , murmelte sie eher zu sich selbst als zu mir.
So war meine Mutter nunmal. Nach 17 Jahren hatte ich mich bereits daran gewöhnt. Ich folgte ihr wortlos nach unten. Mein Vater Charlie und sie saßen bereits im Auto und warteten auf mich. Charlie war ebenfalls ungeduldig. Das konnte ich an dem nervösen Klopfen seiner Hand gegen das Lenkrad erkennen.
„Isabella! Jetzt trödel doch nicht so herum!”
Ich warf meinen Koffer in den Kofferraum und ließ mich dann auf den Rücksitz unseres Autos fallen. Als wir losfuhren musste ich den Drang unterdrücken aus dem Auto zu springen und wieder zurückzulaufen. Jetzt war es also vorbei. Ich musste meine gesamten Kindheitserinnerungen einfach zurücklassen. Alle meine Erinnerungen, die mit dem wunderschönen weißen Haus mit der großen Veranda und dem Balkon vor meinem Zimmer, zu tun hatten. Ich musste sie einfach hinter mir lassen.
„Hast du deine Ballettsachen auch sicher eingepackt?” Renee drehte sich im Sitzen zu mir um und musterte mich streng.
„Ja, Mum. Ich hab sie eingepackt.” , erwiderte ich tonlos.
„Bist du sicher. Du weißt ja, deine neuen Ballettschuhe waren teuer. Es wäre sehr ärgerlich, wenn wir dir schon wieder neue Schuhe kaufen müssten.” Sie blickte mich vorwurfsvoll an.
„Ja, Mum! Wie oft denn noch? Ich habe sie ganz bestimmt eingepackt.” Ich ließ meinen Kopf frustriert gegen die Fensterscheibe sinken. Wieso brauchte ich diese Ballettschuhe denn überhaupt? Ich wollte doch gar nicht Ballett tanzen.
„Schatz, hör auf sie auszufragen.” Danke Dad, wenigstens Einer der mir vertraute. „Und wenn nicht, dann kaufen wir ihr eben neue Sachen. Was ist daran so schlimm?” Autsch! Das tat weh! Dad, du hast soeben eine Bruchlandung hingelegt.
„Ich weiß, aber diese Schuhe sind handgefertigt. Das dauert ein wenig bis man solche wieder bekommt.” , jammerte Renee und fuhr sich mit den Fingern durch ihr braunes Haar.
Ich betrachtete sie von der Rückbank aus. Sie hatte genau dieselbe Haarfarbe wie ich. Ein dunkles Schokoladenbraun. Das wars auch schon mit den Gemeinsamkeiten. Sie war groß gewachsen, ich war mit meinen 1.63m nicht gerade über dem Durchschnitt. Ihre Augen waren Eisblau, meine hatten die gleiche Farbe wie die Haare. Mum`s Charakter, ich wusste gar nicht wie ich ihn hätte beschreiben können, ehrgeizig, rücksichtslos, kalt? Es konnte einem beinahe Tränen in die Augen treiben. Doch mir nicht, ich war dagegen längst immun. Nach 17 Jahren hatte ich es endlich geschafft eine Mauer um mein Herz aufzubauen. Niemand konnte mich je wieder so verletzen, wie sie es tat. Bemerkte sie denn überhaupt wie schlecht es ihrer eigenen Tochter ging? Oder wusste sie es und ignorierte sie es einfach? Ich wusste auf all die Fragen keine Antwort.
Sicher, da war auch noch Dad, doch der hatte beschlossen sich gegen mich zu wenden und Renee beschließen zu lassen was schlussendlich das Beste für mich war. Ich konnte ihm daraus keinen Vorwurf machen. Warum sollte ich, es würde sowie nichts ändern.
„Isabella?” Was denn jetzt noch? „Da wir noch ein wenig Zeit haben bis wir am Flughafen ankommen, möchte ich mit dir noch einmal alles durchgehen. Da wir am Sonntag in Forks ankommen werden, hast du den ganzen Tag Zeit um dich einzurichten und vielleicht noch ein bisschen zu üben. Du willst am Montag doch einen guten ersten Eindruck hinterlassen, nicht wahr?” Renee warf einen strengen Blick über ihre Schultern.
Ja, unbedingt. Es war mein Lebensziel alle zufriedenzustellen und die Klappe zu halten.
„Dann möchte ich dich daran erinnern, dass du am Montag pünktlich um 8 Uhr Unterricht hast. Ich werde dich um 6 aufwecken, dann hast du genug Zeit um dich vorzubereiten und dich in der Schule zu melden. Ich habe mit der Ballettlehrerin Ms. Greenwald telefoniert und sie hat mir gesagt, dass du sofort mitmachen kannst. Auf deinem Stundenplan wirst du das dann sowieso genau sehen.” Meine Mutter redete ohne Punkt und Komma.
Spätestens an der Stelle an der sie den Ballettunterricht erwähnte schaltete ich mein Gehirn komplett ab. Meine Nerven waren schon gespannt genug.
„Isabella, hast du mir zugehört?”
„Ja, Mum.” Vielleicht sollte ich mir ein Diktiergerät kaufen und „Ja, Mum“ draufsprechen. Langsam ging es mir auf die Nerven.
„Isabella,...” Argh, was denn noch?
„Schatz, wir sind da. Du kannst es ihr auch im Flugzeug erzählen.” , unterbrach mein Vater unser Gespräch.
Na Gott sei Dank! Ich stieß erleichtert Luft aus und stieg aus dem Wagen. Der Flughafen von Phoenix war riesig. Überall wuselten Menschen herum, wie kleine Ameisen.
„Isabella, nimmst du bitte den Koffer?” Charlie hielt mir mein Gepäck hin und verschwand dann mit Mum in der Menge. Ich folgte ihnen schweigend. Mehr als einmal wurde ich von der Seite angerempelt, doch ich nahm es kaum war. Gleich würde ich im Flugzeug Richtung Forks fliegen. In die Kleinstadt mit der höchsten Niederschlagsrate in ganz Amerika. Wenigstens würde das Wetter zu meiner Stimmung passen....
Nachdem meine Eltern die Tickets besorgt hatten und wir an Bord gegangen waren hatte ich für ein paar Stunden meine Ruhe. Aus irgendeinem Grund saß ich zwei Reihen vor meinen Eltern. Vermutlich hatten sie die Sitzplätze falsch verbucht. Jedenfalls hatte ich jetzt das Glück mich ganz meinem Selbstmitleid hingeben zu können.
Wie es in Forks wohl sein mochte? Ich war in meinem ganzen Leben noch nie dort gewesen. Das Einzige das ich wusste war, dass es in dieser verregneten Stadt eine der besten Schulen für junge talentierte Leute gab. Egal welche Begabung man auch hatte. Schauspielerei, Reiten, Tennis, ein Instrument oder zu meinem Leidwesen auch Ballett. Und nur deswegen musste ich umziehen, weil sich meine Mutter einbildete mich mit aller Kraft fördern zu müssen. Nicht, dass das schlecht sei, aber den Ehrgeiz den meine Mutter manchmal an den Tag legte war beinahe ungesund.
„Miss? Möchten Sie etwas trinken?”
Ich schreckte aus meinen Tagträumen und erblickte neben mir eine freundlich lächelnde Stewardess.
„Nein, danke. Ich möchte nichts.” , erwiderte ich und versuchte ein kleines Lächeln zustande zu bringen.
Da die Frau mich jedoch verwundert anschaute, vermutete ich, dass mir das nicht besonders gut gelungen war. Ach, was solls...
Ich rutschte ein wenig tiefer in den Sitz und schloss die Augen. Vielleicht konnte ich ja etwas Schlaf nachholen. Das letzte an das ich dachte, war mein Ärger gegen meine Mutter, bevor ich schließlich ins Reich der Träume sank.