Take me anywhere but here...

Take me anywhere but here...

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Nervös knabberte ich an meinen Fingernägeln, wippte mit den Fußballen auf und ab und wartete darauf, dass die Willkommensrede des Chefarztes endlich begann. Da ich früher als nötig erschienen war, hatte ich mir so einen der besten Sitzplätze sichern können, mit einer tadellosen Aussicht auf das Podium.
Erwartungsvoll warf ich einen kurzen Blick auf meine Uhr und hätte nur zu gerne aufgestöhnt. Noch fünf Minuten, es kam mir wie eine Ewigkeit vor.
„Hey, ist da noch frei?“
Ich wandte meinen Kopf in die Richtung aus der die Stimme kam und nickte, bevor ich überhaupt nachgedacht hatte. „Sicher, setz dich ruhig.“ Vor mir stand eine zierliche junge Frau mit abstehenden, schwarzen Haaren. Sie lächelte mich freundlich an.

„Danke. Ich bin übrigens Alice.“ Sie reichte mir die Hand und verstaute anschließend ihre Jacke unter dem Sessel. „Du weißt gar nicht was das für eine Tortur war hierher zu komm... Ich darf dich doch duzen, oder?“ Bevor ich auch nur blinzeln konnte, sprach sie weiter: „Wie auch immer. Zuerst wollte mein Auto partout nicht anspringen und das, obwohl ich es erst letzten Sommer gekauft habe. Dann war der Verkehr einfach nur die Hölle. Versuch du mal um sechs Uhr in der Früh über die Autobahn zu kommen. Schrecklich, sag ich dir.“ Sie schüttelte ihren Kopf. „Aber vielleicht war das auch nur die Strafe dafür, dass ich gestern zu lange aus war. Sicher, das war nicht besonders vernünftig, vor allem nicht, wenn man am nächsten Tag eine wichtige Vorlesung hat. Ach, was soll ich nur machen...“ Sie seufzte und strich eine Strähne ihrer dunklen Haare zurück.
Noch immer perplex, dass ein Mensch so viel innerhalb einer Minute von sich geben konnte, zuckte ich mit den Schultern und schenkte ihr ein verlegenes Lächeln. Ich war es nicht gewöhnt mich allzu schnell mit anderen Personen anzufreunden, daher atmete ich erleichtert aus, als ein hoch gewachsener Mann um die fünfzig das Podium betrat und der Vortrag begann.

„Willkommen im Brookdale University Medical Center! Ich bin Dr. Carlisle Cullen, Ihr zuständiger Chefarzt für die nächsten sechs Jahre. Bevor wir mit den üblichen Kennenlernsspielchen beginnen, möchte ich sie alle darauf hinweisen, dass Ihre Zeit hier als Assistenzärzte keine leichte sein wird. Sie befinden sich nicht mehr in Ihren gemütlichen Vorlesungssälen wo es niemanden gestört hat wenn sie einen Fehler gemacht haben. Hier können Fehler Menschenleben bedeuten.“ Der dunkelhaarige Mann im weißen Kittel gönnte sich einen Moment der Stille um seinen Worten Ausdruck zu verleihen. Er nutzte die Zeit um seinen Blick durch die Menschenmenge vor ihm gleiten zu lassen. „Wenn Sie sich das klar gemacht haben, dann wird es mir und meinem Team eine Freude sein Sie zu vollwertigen Ärzten auszubilden. Wir beginnen nun mit dem Aufteilen der Fachbereiche.“
Er ergriff ein Klemmbrett, das vor ihm auf dem Rednerpult lag und ging sorgsam die Namen durch. „Jeder Gruppe wird jeweils ein Oberarzt zugeteilt, wenn ich Ihnen also Dr. Esme Anne Evenson vorstellen dürfte. Sie ist eine Spezialistin für Kinderchirurgie.“ Carlisle wies auf eine hübsche rothaarige Frau zu seiner Rechten. Diese lächelte die Menge der Assistenzärzte freundlich an. „Für die Neurochirurgie wird Dr. Emmett Dale McCarty zuständig sein.“ Ein attraktiver Mann um die dreißig hob die Hand um auf sich aufmerksam zu machen.
„Meine Wenigkeit wird die zukünftigen Kardiologen ausbilden. Sollten sie Fragen haben werden wir Ihnen gerne zu Verfügung stehen.“

Kaum waren seine Worte verhallt, als auch schon ein lautes Poltern meine Aufmerksamkeit auf sich zog. Neugierig wandte ich mich um und erblickte einen vollkommen durchnässten Jungen, der gerade mit einem Stapel an Büchern durch die schwere Eichenholztür des Vorlesungssaals stolperte. Es war ihm sichtlich unangenehm im Mittelpunkt des Geschehens zu stehen, denn seine Wangen, an denen dicke Strähnen seines bronzefarbenen Haars klebten, waren von einem leichten Rotton überzogen.
„Hast wohl kein Geld für einen Schirm, was?“, ertönte eine abfällige Bemerkung aus einer der Reihen vor mir, gefolgt von gut hörbarem Gekicher.
Augenblicklich verdunkelte sich das Rot auf den Wangen des Neuankömmlings und als auch noch der Stapel in seinen Händen begann gefährlich zu schwanken, hielt ich atemlos die Luft an. Wie in Zeitlupe kippten die Bücher nach rechts, direkt auf den Schoß eines entsetzten Studenten.
„Hey! Kannst du nicht aufpassen?“, zischte dieser und versuchte kläglich seine Beine vor den herabfallenden Büchern in Sicherheit zu bringen.

„Es tut mir leid.“, hörte ich den Bronzeschopf murmeln. Verlegen rieb er sich, mit der nun freien rechten Hand, den Nacken und erweckte in mir den Eindruck, als würde er am liebsten im Boden versinken. Ich konnte das nur zu gut nachvollziehen. Wie oft hatten mich in der High School die anderen Schüler mit „Pech - Mariechen“ bedacht, wenn ich mal wieder über meine eigenen Beine gestolpert und dabei das Tablett der Schulcafeteria mit dem Essen in meinem oder schlimmstenfalls im Gesicht eines Mitschülers gelandet war?
Mein Blick wanderte über die Vielzahl an Studenten im Saal, die den Jungen zwar anstarrten, aber keine Anstalten unternahmen ihm zu helfen. So nahm ich also meinen Mut zusammen, erhob mich und zwängte mich an Alice vorbei, die immer noch reglos auf ihrem Sitzplatz saß.
Hastig erklomm ich die wenigen Stiegen bis zur Eichentür und lächelte den Pechvogel ermutigend an, während ich ihm half seine Bücher wieder einzusammeln. Erst bei genauerem Hinsehen erkannte ich, dass es sich dabei um die gleichen Exemplare handelte, die auch ich mir eine Woche zuvor besorgt hatte. Seine machten jedoch einen weitaus abgenutzteren Eindruck. Eine besonders zerschlissene Ausgabe bestand praktisch nur noch aus losen Blättern, die notdürftig mit Klebeband am Einband befestigt worden waren.
Ohne weiter darauf zu achten, stapelte ich die Bücher erneut zu einem Turm und drückte sie dem Jungen anschließend wieder in die Hände.

„Dankeschön.“, nuschelte er kleinlaut und blickte mir dankbar in die Augen.
Ich brauchte einen Augenblick um mich von seinen atemberaubend grünen Augen loszureißen, schüttelte dann lediglich den Kopf. „Kein Problem.“ Ohne einen letzten Blick auf ihn zu werfen, eilte ich zurück an meinen Platz und hielt den Blick stur nach vorne gerichtet.
„Der Arme. Jetzt wird er für die nächste Zeit der Jahrgangs-Loser sein.“
Nur unbewusst nahm ich die Worte meiner schwarzhaarigen Sitznachbarin wahr und hätte ihr nur zu gerne widersprochen. Leider wusste ich, dass sie recht hatte. Es musste immer jemanden geben, der von den anderen fertiggemacht wurde, wie primitiv das auch klang.
„Nun, da wir jetzt hoffentlich vollzählig sind, würde ich vorschlagen, dass sie sich bei ihrem jeweiligen Oberarzt einfinden um die Rundführung zu beginnen. Sie sollen ja die Patienten rasch finden.“ Mit einem neckischem Zwinkern wies Dr. Cullen auf seine Kollegen und verließ unter dem Klatschen der angehenden Ärzte die Bühne.
„Und? Welches Fachgebiet hast du gewählt...“ Sie warf einen Blick auf das Namensschildchen auf meiner Brust. „Isabella?“
„Nur Bella.“, korrigierte ich sie automatisch. „Ähm... ich bin in der Neurochirurgie.“

Ihre Enttäuschung, dass wie nicht in derselben Gruppe waren, war kaum zu übersehen. Sie hatte ihre Unterlippe nach vorne geschoben und biss nachdenklich drauf herum. „Schade, ich dachte wir könnten uns zusammentun. Aber das schließt ja nicht aus, dass wir trotzdem Freunde werden.“ Sie kramte einen Kugelschreiber aus ihrer Tasche heraus und kritzelte hastig ihre Nummer auf einen kleinen Zettel, den sie mir anschließend in die Hand drückte. „Wir können ja noch telefonieren.“ Mit diesen Worten verschwand sie in der Menschenmenge und ich besann mich auf meine Aufgabe.
Immerhin hatte ich mit gemerkt welchem Oberarzt ich zugeteilt war, sodass es nicht allzu lange dauerte bis ich meiner Gruppe gefunden hatte. Soweit ich das beurteilen konnte, hatten die Wenigsten Studenten die Neurochirurgie als Fachgebiet gewählt. Es standen nur rund fünfzehn Leute um mich herum, die allesamt erwartungsvoll zu Dr. McCarty blickten.
Unauffällig linste ich zu den anderen Assistenzärzten. Mir fiel auf der Stelle der Bronzeschopf von vorhin auf, der sich mittlerweile ebenfalls ein Namensschildchen besorgt hatte, das nun auf seiner Brust prangte:  „Edward Masen“. Da ich nicht aufdringlich wirken wollte, ließ ich meinen Blick weiter wandern. Die Gruppe bestand des Weiteren aus etwa fünf Frauen und zehn Männern. Einige von ihnen hatte ich bereits am Morgen vor dem Krankenhaus gesehen.

„Da ich nicht denke, dass sich unsere Gruppe noch vergrößern wird, fangen wir an. Für alle diejenigen, die  es sich nicht gemerkt haben, ich bin Dr. Emmett McCarty und werde Ihre Ansprechperson für das ganze nächste Jahr sein. Wenn Sie also Fragen haben, stellen Sie sie! Auch wenn ich einer der besten Neurochirurgen des Landes bin, Gedankenlesen kann ich noch nicht.“ Ein Schmunzeln erschien auf seinen Lippen und auch die Anspannung der Assistenzärzte schien angesichts seines Humors nachzulassen. „Los geht’s also!“
Dr. McCarty wies uns an ihm zu folgen und schlenderte gemütlich durch die Gänge des Krankenhauses. Immer wieder blieb er stehen, damit er uns bestimmte Dinge erklären konnte. „Wie Dr. Cullen vorhin schon erwähnt hat, Sie befinden sich nicht mehr in ihren jeweiligen Universitäten wo Sie mit Samthandschuhen angefasst wurden. Wenn Sie einen Fehler machen, kann das einem Menschen das Leben kosten und Sie werden dafür geradestehen müssen. Versuchen Sie also bitte niemanden umzubringen, das erspart uns eine Menge an Problemen.“ Auch wenn seine Augen belustigt funkelten, in seiner Stimmer schwang der nötige Ernst mit. „In den ersten paar Monaten werden Sie lernen sich selbstständig um Ihre Patienten zu kümmern. Das heißt jedoch nicht, dass sie schon befugt sind auch nur die geringsten medizinischen Anweisungen zu geben. Jedes Medikament, das sie verabreichen wird vorher mit mir abgesprochen.“

„Und wann können wir das selbst entscheiden?“, unterbrach einer meiner Kollegen. Seine fettigen, blonden Haare fielen ihm in dicken Strähnen ins Gesicht. Mit einer genervten Handbewegung schob er sie beiseite. „Ich meine, wir haben unser Studium doch abgeschlossen!“
Dr. McCarty beäugte zunächst das Schild an seiner Brust und fixierte ihn dann mit verschränkten Armen. „Nun, Mr. Newton. So sehr ich Ihre Kompetenz auch zu schätzen weiß. Das Wohl der Patienten steht an oberster Stelle und solange ich nicht weiß ob Sie ein kompletter Vollidiot sind, werden Sie niemanden auch nur mit der Kneifzange anrühren. Verstanden?“
„Hrm... ja.“, nuschelte Mike und kniff seine Lippen zu einem schmalen Strich zusammen.
Ein bewunderndes „Heiß“ riss mich aus meinen Gedanken. Irritiert sah ich mich um und erblickte eine hübsche Blondine, die Dr. McCarty mit großen Augen musterte. Als sie mich bemerkte, zuckte sie mit den Schultern und raunte: „Was? Ich steh auf schlagfertige Männer.“ Dann streckte sie mir ihre Hand entgegen. „Ich bin Rosalie. Aber du kannst mich Rose nennen. Immerhin werden wir einige Zeit miteinander verbringen.“

„Bella.“, gab ich unsicher zurück.
„Wie es aussieht wird dieses Jahr doch keine so trockene Angelegenheit.“ Sie hatte ihren Blick bereits wieder auf den Oberarzt gerichtet und schmunzelte. Wenn ich sie nicht gerade erst kennengelernt hätte, würde ich sagen, dass sie ihn in Gedanken bereits ausgezogen hatte und sich mit ihm anderweitig vergnügte.
Dr. McCarty führte uns durch die Operationssäle, die Notaufnahme und zeigte uns auch die Bereitschaftsräume. „Sie werden in den nächsten Monaten nicht allzu viel Schlaf bekommen, daher rate ich Ihnen jeden Moment zu nutzen.“
Kaum ausgesprochen schob sich einer meiner Kollegen an uns vorbei und machte es sich auf einem der Betten gemütlich. Mit einem entspannten Seufzen verschränkte er die Arme hinter dem Kopf und grinste die Frauen unter uns schelmisch an. „So, wer will mir Gesellschaft leisten?“
Angewidert verzog ich das Gesicht und musste das Lachen unterdrücken, als ich bemerkte, dass Rose den gleichen Gesichtsausdruck aufgesetzt hatte.

„Raus aus dem Bett.“ Mit diesen Worten marschierte Dr. McCarty aus dem Bereitschaftsraum und beendete die Führung im Eingangsbereich des Krankenhauses, wo sich bereits die anderen Gruppen eingefunden hatten.
„Ich würde vorschlagen, dass Sie heute nicht zu lange feiern und früh schlafen gehen, damit Sie morgen pünktlich um sechs Uhr auf der Matte stehen – und zwar ausgeschlafen.“ Mit einem durchdringenden Blick nickte der uns zugewiesene Oberarzt zu. „Sie dürfen jetzt gehen.“ Ohne auf diverse Abschiedsworte zu warten, wandte er sich ab und verschwand um weiter seiner Arbeit nachzugehen.

Mittlerweile hatte auch meine Anspannung etwas nachgelassen, trotzdem atmete ich erleichtert aus, nachdem ich mich von Rose verabschiedet hatte. Auch wenn ich mir vorgenommen hatte, dass meine Zeit als Assistenzärztin eine Art Neubeginn für mich sein würde, die „alte“ Bella ließ sich doch nicht so einfach abstreichen wie ich es mir vorgestellt hatte. Schon seit meiner Kindheit war ich immer äußerst schüchtern gewesen und es fiel mir nie leicht mich anderen Menschen anzupassen. Die Tatsache, dass ich nun in einem der renommiertesten Krankenhäuser der USA lernen durfte, war eine enorme Steigerung für jemanden wie mich.
Als ich sah, dass es nicht aufgehört hatte zu regnen, zog sich in mir alles zusammen. Da ich in Jacksonville aufgewachsen war, ging mir der häufige Regen in New York gehörig gegen den Strich, doch da ich das Krankenhaus schlecht versetzen konnte, blieb mir nichts Anderes übrig als das Wetter zu akzeptieren. Seufzend zog ich mir die Kapuze über den Kopf und spannte zusätzlich noch den Regenschirm auf, den ich in meiner Tasche verstaut hatte.

Kaum hatte ich zehn Meter im Regen hinter mich gebracht, als ich eine Bewegung aus dem Augenwinkel wahrnahm. Verwundert bemerkte ich, dass es sich um Edward handelte, der nervös an einem klapprigen Fahrrad herumnestelte. War er etwa mit diesem Drahtesel durch den Regen gefahren?
Obwohl sich die schüchterne Bella in mir sträubte, nahm ich meinen Mut zusammen und sprach ihn an. „Kann ich dir irgendwie helfen?“